Janis: Little Girl Blue
Amy Berg, USA, 2015o
Janis Joplin (1943–1970) war eine der einflussreichsten Rockikonen der 1960er Jahre, die als Zeit grosser Aufbrüche und Revolten, Hoffnungen und Illusionen in die Geschichte eingegangen ist. Little Girl Blue rollt ihr exzessives Leben anhand von reichem Material und den zahlreichen Briefen auf, die sie ihrer Familie, ihren Freunden und Geliebten beiden Geschlechts schrieb. Neben Joplins legendären Temperament und ihrer bedingungslosen Hingabe an die Musik tritt dabei auch die sanfte Seite der Rockerin hervor, deren früher Drogentod zudem weniger schicksalshaft war als später vielfach behauptet.
Die Geschichte einer Schmerzensfrau, der Blues-Rock-Sängerin Janis Joplin, mit klassischen Dokumentarfilmmitteln gedreht - Szenen aus Homevideos, Bühnenauftritte, persönliche Erinnerungen von Sam Andrew, D.A. Pennebaker, Dick Cavett und vielen anderen -, aber unglaublich passioniert und intensiv. Alkohol, Drogen, Sex, Roadtrips, Woodstock, die ganzen Sechziger. Sie erleichtert uns, sagt die Filmemacherin Amy Berg, indem sie den Schmerz liebkost und annimmt, den jeder von uns in sich trägt.
Fritz GöttlerJanis Joplins Gesang gehorchte dem Gefühl bis in tiefste Trauer. Amy J. Bergs Dokumentation «Janis: Little Girl Blue» zeigt aber, dass die Sängerin ihre expressive Kraft auch aus Euphorie gewann. Mag sie bleibende Kränkungen erfahren und Einsamkeit mit Drogen ausgefüllt haben – man darf sie sich trotzdem als glückliche Musikerin vorstellen. Der Film wirkt manchmal blass, wird von der Musik förmlich übertönt. Montiert aus Konzertmitschnitten, Interviews und vielen Symbolbildern (mit Tauben, mit Zügen) zeigt er immerhin: Inspiriert von Soul, getragen von der Hippie-Welle, entwickelte sich Janis Joplin zur einzigartigen Rocksängerin, die Können und Erfolg genoss. Dass sie im Jahr 1970 mit 27 Jahren an einer Überdosis Heroin starb, war ein Unglück, kein Schicksal.
Ueli BernaysFilmmaker Amy Berg’s deeply sympathetic documentary about Janis Joplin – a singer whose shredded wail tapped reservoirs of pain – gets so much right, it feels like a major act of cultural excavation. We get a glimpse of the high-school-aged Janis’s report card (mostly Cs and Ds) and a thorough sense of the tomboy rebel who found her way to San Francisco’s hippie scene. Joplin’s flower-girl mystique is punctured by frustrated bandmates and lovers of both sexes. Best are her letters to home, voiced by Cat Power’s Chan Marshall, pushing us further inside a troubled head than most rock docs dare. As with recent films ‘Amy’ and ‘Kurt Cobain: Montage of Heck’, tragedy can’t help but loom. Still, Joplin’s drug use turns out to be more of a battle than you might have known. She’d already gotten hooked on heroin and kicked it before succumbing to loneliness (and a relapse). Berg relies too often on a shot of a train track receding, while her film tells a more complex story: Joplin wasn’t drawn inexorably to her fate but instead comes off like an adventurer with a sad, untamed spirit.
Joshua RothkopfDocumentariste chevronnée, Amy Berg rend ici une copie appliquée, garnie comme il se doit d’images live et de témoignages décortiquant la saga d’une femme entière, incapable de surmonter ses démons, à rapprocher bien sûr de la non moins funeste destinée d’Amy Winehouse.
La RédactionIl y a presque une contradiction entre l’agencement méthodique des images documentaires et le sujet, qui relève de l’émotion pure, mais il est impossible de rester insensible à la puissance des performances publiques de la chanteuse, ni à la tragédie qui fut la sienne.
Gérard DelormeGalerieo
Dieser Dokumentarfilm lässt ahnen, wie Janis Joplin wirklich war.
Ein früher Tod ist der Karriere förderlich: Im Gegenlicht der Ewigkeit verblassen alle Unzulänglichkeiten, die Verklärung nimmt ihren Lauf. Und so figuriert Janis Joplin denn auf der «Rolling Stone»-Liste sowohl in der Kategorie «Beste Sängerin» als auch «Beste Künstlerin aller Zeiten» weit oben. Joplin selbst sah das ?anders: Sie habe Kraft, sagte sie, und mit der Zeit werde sie vielleicht auch noch gut.
Dies erfährt man aus Amy J. Bergs Dokumentarfilm «Janis: Little Girl Blue», und das macht dessen Stärke aus: Da werden nicht einfach Klischees wiedergekäut, sondern öfter mal zerstört. Beliebt ist auch die Aussage, Joplin sei frei von Manierismen gewesen, da sei alles im Moment erfunden worden. Im Film sagt sie, vom Soulsänger Otis Redding habe sie die Wiederholung der Floskel «You gotta, gotta» übernommen. Aber, gestand sie 1968 dem Radiomann Studs Terkel, die Subtilität der Jazzsängerin Billie Holiday oder der Soulsängerin Aretha Franklin gehe ihr völlig ab: «Dafür brauche ich noch ein paar Jahre.»
Die waren ihr nicht gegönnt: Am 14. Oktober 1970 starb sie in einem Motelzimmer in Los Angeles an einer Überdosis Heroin. Der Film folgt ihrem Leben von der Geburt 1943 in Port Arthur, Texas, über ihre Studentenzeit in Austin – sie wurde von den lieben Kommilitonen zum «hässlichsten Mann (!) auf dem Campus» erkoren –, den Durchbruch in San Francisco mit der Band Big Brother and the Holding Company über die Solojahre bis zu ihrem Tod. Dabei kommen viele Verwandte und Weggefährten zu Wort, die beim ersten Statement auch brav vorgestellt werden. Doch nach zehn weiteren weiss man nicht mehr: Ist das jetzt der Bruder oder ein ehemaliger Lover? Der Film setzt auch voraus, dass man selbst merkt: Ah, da hat Janis also auch einmal mit Mitgliedern der Band Grateful Dead herumgealbert.
Stark sind aber all die Interviews mit ihr – Janis Joplin war eine sehr sympathische Frau, die im Gegensatz zu heutigen Stars frisch von der Säuferleber weg redete – und ihre Briefe, die Chan Marshall (bekannt als die Sängerin Cat Power) vorliest. Und spätestens bei einer Liveversion von «Ball and Chain» wird einem klar, warum Janis Joplin ihr Publikum als Performerin dermassen faszinierte: Da brannte jemand auf der Bühne lichterloh.